Begegnungen

Neidel - Kapitel 9 - Teil I

Der Traum vom Gesamtkunstwerk kann auf eine reiche Tradition zurückblicken; sie reicht von schwärmerisch bis ansatzweise konkret. Sein Anspruch beinhaltet: Dichtung, Musik, bildende Kunst, Schauspiel und Tanz im Zusammenspiel zu vereinen. Bereits die Festspiele der Barockzeit kamen dem Gedanken nahe. Richard Wagner versuchte es in seinen Musikdramen. Im 20. Jahrhundert hat die Idee vom Gesamtkunstwerk vor allem die Theaterkunst (Erwin Piscator), die Architektur (Bauhaus) und dadaistische Strömungen (Kurt Schwitters) beeinflusst. Sie liegt auch audiovisuellen Experimenten der Farbenmusik (A.N. Skrjabin) zugrunde sowie neueren musikalisch-theatralischen Konzeptionen (Karlheinz Stockhausen) und unterschiedlichen Multimedia-Veranstaltungen.

Der Begriff Gesamtkunstwerk wurde theoretisch nie eindeutig definiert; vielleicht ist er auch gerade deshalb zu einer beliebig verwendbaren Begriffshülse geworden - einerseits. Andererseits blieb er eine mythische Idee, eine immer wiederkehrende Obsession. Der "Hang zum Gesamtkunstwerk" (wie Harald Szeemann 1984 seine wegweisende Ausstellung nannte) nistet auch im Oeuvre von Hjalmar Leander Weiss. Er erprobt ihn im Zusammenwirken von Zeit ("Live macht den Schmelz aus."), Raum, Bild ("Der Ausgangspunkt ist immer die Malerei."), dem Wort ("Rezitation als Agens") und Klängen ("Die Chemie muss sachlich und personell stimmen.").

Während der Kulturphilosoph Andre Vladimir Heiz behauptet, "Aktualität und wahllose Verfügbarkeit der Bezeichnung Gesamtkunstwerk breiten die Flügel aus und decken ein und alles ab", geht es Hjalmar um dessen sehr bedachtsame Erprobung mittels jeweils einer Projektbezogenen, besonderen Verschränkung der einzelnen Komponenten. Dafür stehen exemplarische Beispiele: das "Glasgow-Painting" (1999). Vor einem Kaufhaus in der Fußgängerzone der schottischen Industriemetropole breitete der Künstler eine über zehn Quadratmeter große Leinwand aus, nachdem er vorher die darunter liegenden Bodenplatten mit schwarzblauem Pigment bestreut hatte.

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